(kunid) Nachdem 2016 mit insgesamt 53.389 gefälschten Medikamenten bereits ein Höchststand erreicht worden ist, stellt sich mit der nun vorliegenden Bilanz 2017 neuerlich ein trauriger Rekord ein. Schwere Erkrankungen nach Einnahme von nachgemachten, wirkungslosen Medikamenten oder gefälschte Arzneimittel, die mit Schadstoffen verunreinigt sind – die Folgen von Produktpiraterie zeigen deutlich, dass es sich dabei keinesfalls um ein Kavaliersdelikt handelt.

Das Geschäft mit Medikamentenfälschungen wird laut Bundesministerium für Finanzen, das nach Ostern 2018 den Produktpirateriebericht 2017 vorlegte, von „skrupellosen Geschäftemachern, die nahezu vollständig im Untergrund agieren“, betrieben.

Der österreichische Zoll hat 2017 bei 1.018 Sendungen 54.895 Medikamentenplagiate im Wert von 1,097.460 Euro aus dem Verkehr gezogen. Nach wie vor wurden 2017 hauptsächlich Potenzmittel vom Zoll sichergestellt.

Im Jahr 2017 konnte der Zoll zusätzlich zu den Produktpiraterieaufgriffen 1.479 Sendungen mit mehr als 111.000 illegalen Medikamenten stoppen und aus dem Verkehr ziehen. Insgesamt hat der österreichische Zoll 2017 demnach 2.497 Fälle von Medikamentenschmuggel mit insgesamt 165.895 Artikeln beschlagnahmt.

Die Bedingungen, unter denen die gefälschten Mittel produziert, gelagert und transportiert werden, entsprechen laut Finanzministerium „nicht annähernd den geltenden Standards der Pharmaindustrie“.

So arbeitet die Polizei

Zöllner des Zollamtes Eisenstadt/Flughafen-Wien konnten im April 2017 mit Hilfe des zolleigenen Röntgenfahrzeuges eine verdächtige Sendung im Frachtbereich des Flughafens identifizieren. Dabei wurden 5.280 Packungen mit insgesamt 1,013.760 Stück mutmaßlich gefälschten Potenzmitteln entdeckt.

Die für Ungarn bestimmte Sendung wurde aber nicht angehalten, sondern vom Zoll bis zur ungarischen Grenze observiert. Dort übernahm der ungarische Zoll die weitere Überwachung. Durch diese Vorgangsweise konnten in Ungarn schließlich vier Drahtzieher ausgeforscht und verhaftet werden.

Bereits einen Tag später schlugen die Bediensteten des Zollamtes am Flughafen Wien erneut zu. Bei der Kontrolle einer als Nahrungsergänzungsmittel deklarierten Sendung wurden 23.712 Stück illegale Potenzmittel entdeckt.

Anfang Dezember 2017 zeigte sich bei der Gepäckkontrolle eines Flugreisenden aus Kairo mit dem Röntgengerät ein auffälliges Bild. Im Koffer wurden diverse Kaffeepackungen vorgefunden, die allerdings keinen Kaffee, sondern 6.720 Stück Potenzmittel enthielten. Hier hat der Schmuggler wohl -fälschlicherweise – angenommen, die Potenzmittel bei einer Röntgenkontrolle hinter der in den Kaffeepackungen enthaltenen Aluminiumfolie „unsichtbar“ werden zu lassen, um so die Zöllner täuschen zu können.

Kriminelle Schattenwirtschaft

Für Finanz-Staatssekretär Hubert Fuchs stellen Arzneimittelfälschungen „die gefährlichste Form der Produktpiraterie dar: Hier ist nicht nur der gesamtwirtschaftliche Schaden, sondern vor allem auch das gesundheitliche Risiko durch die Einnahme gefälschter Medikamente alarmierend!“ Diese Fälschungen seien meist mit Schadstoffen verunreinigt, oftmals handle es sich um über- oder unterdosierte Medikamente, oder solche, die überhaupt wirkungslos sind.

Studien des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) zufolge belaufen sich die wirtschaftlichen Kosten der Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums in Österreich bei Arzneimitteln auf etwa 109 Millionen Euro pro Jahr – diese Zahl betrifft die Herstellung und den Großhandel, aber: nicht den Einzelhandel (wo diesbezüglich eine regelrechte kriminelle Schattenwirtschaft herrscht).

Dazu Gerhard Marosi, Produktpiraterie-Experte im Finanzministerium: „Hinter den Medikamentenfälschungen steht organisierte Kriminalität – den Machern ist der gesundheitliche oder finanzielle Schaden für die betrogenen Kunden angesichts ihres eigenen Gewinns egal.“

Abwicklung über Fulfillment Centers

98,78 Prozent der aufgegriffenen Medikamentenfälschungen kamen 2017 aus Indien. Der Vertrieb der Fälschungen erfolgt meist über Online-Portale, die den Konsumenten Echtheit und Seriosität vortäuschen. Häufig werden die gefälschten Arzneimittel auf solchen Internetseiten auch beworben, indem eine Lieferung aus Deutschland angegeben wird. Hier bedienen sich viele Arzneimittelfälscher so genannter Fulfillment Center, um die wahre Herkunft der Produkte zu verschleiern.

Die gute Nachricht: Von allen 2017 aufgegriffenen Medikamentenplagiaten waren immerhin rund 43 Prozent über solche Fulfillment Center abgewickelt worden. Durch enge Kooperation konnte die österreichische Zollverwaltung mit den deutschen Zollbehörden ein gemeinsames, gutes Ergebnis erzielen – seit Mitte 2017 wird dieser Vertriebsweg kaum noch verwendet.

Konsequenter Kampf gegen Arzneimittelfälschungen

Wenn in Europa ein funktionierendes Vertriebsnetz besteht, werden die gefälschten Medikamente von dort aus vertrieben, erläutert Marosi. Bestehen in Europa keine Vertriebsmöglichkeiten, werden die gefälschten Medikamente wieder im Postverkehr aus Fernost geliefert.

Wie dramatisch gerade im Fall von Arzneimittel-Fälschungen mit den Sorgen und Nöten der Betroffenen gespielt wird, zeigt auch ein weiterer Aufgriff vom August 2017. In Zusammenarbeit mit der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) und dem Bundeskriminalamt wurden über 1.600 Packungen eines in Österreich nicht zugelassenen Medikaments zur Behandlung von Krebserkrankungen mit einem Wert von über 750.000 Euro beschlagnahmt.

Marosi setzt auch weiter auf einen anhaltenden, konsequenten Kampf gegen Arzneimittelfälschungen – denn: „Der Einfallsreichtum der Schmuggler in der Umsetzung ihrer kriminellen Machenschaften ist nahezu grenzenlos!“

Zum Weiterschmökern

Der Produktpirateriebericht 2017 steht auf der Website des Finanzministeriums www.bmf.gv.at – im Bereich Zoll unter Produktpiraterie – zum Download bereit.