(kunid) Vier von zehn Unfällen ereignen sich im Haushalt, weitere 36 Prozent in der Freizeit. Beunruhigend ist, dass diese Unfälle in den vergangenen Jahren zugenommen haben, während Arbeits- und Verkehrsunfälle rückläufig waren. Besonders problematisch: Die gesetzliche Unfallversicherung bietet in diesen Fällen keinen Schutz. Sukkus einer Veranstaltung des Verbands der Versicherungsunternehmen: Notwendig sind Prävention, die Schaffung von Strukturen und Programmen sowie Bewusstseinsbildung in der breiten Öffentlichkeit.
Während die Unfallzahlen im Verkehr und im Bereich Arbeit/Schule seit Jahren rückläufig sind, steigen jene im Bereich Heim/Freizeit weiter an. Diese Tatsache nahm der Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs (VVO) in der Vorwoche zum Anlass für ein Pressegespräch.
Neben der Generaldirektorin der Vienna Insurance Group Elisabeth Stadler, die auch Vizepräsidentin des österreichischen Roten Kreuzes ist, nahmen Othmar Thann, Direktor des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (KFV) und der Physiker Werner Gruber an dem Gespräch teil.
Man wolle dem „Mysterium Unfall auf die Spur kommen“, betonte einleitend VVO-Generalsekretär Louis Norman-Audenhove. Es gehe darum, das Bewusstsein der Öffentlichkeit dafür zu schärfen, dass die meisten Unfälle zuhause passieren.
Erschreckende Zahlen
Laut der „Injury Database Austria (IDB Austria), einer statistischen Erhebung des KFV, wurden im Vorjahr 782.200 Menschen in Österreich bei Unfällen so schwer verletzt, dass sie in einem Krankenhaus behandelt werden mussten.
Den größten Anteil daran hatten Unfälle im Haushalt: 308.300 Unfälle (39 Prozent) ereigneten sich in diesem Lebensbereich. Auf Rang zwei kommt demnach der Bereich Freizeit mit 36 Prozent oder 280.400 Unfällen. 112.300 Verletzte gab es im Bereich Arbeit und Schule, „nur“ 81.200 im Verkehr.
Besonders dramatisch ist die Entwicklung der Unfälle mit Todesfolge. Von den insgesamt 2.551 durch Unfälle ausgelösten Todesfällen waren mehr als 78 Prozent den Bereichen Heim und Freizeit zuzurechnen; 1993 waren es noch nur 49 Prozent gewesen.
Dazu kommt, dass auch die absolute Zahl der unfallbedingten Todesfälle im Bereich Heim und Freizeit stieg: Waren es 1993 noch 1.559 gewesen, stieg die Zahl bis 2018 auf 1.993. Deutlich rückläufig waren in diesem Zeitraum dagegen die Zahl der Verkehrstoten (von 1.283 auf 409 Todesfälle) und die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle (von 334 auf 148).
Kein Versicherungsschutz
Angesichts der Zahl von mehr als 800 Unfällen pro Tag in heimischen Haushalten müsse man „darauf schauen, dass wir diesen Trend stoppen können“, erklärte Stadler, die dazu anmerkte, dass gerade bei Haushaltsunfällen Frauen am stärksten betroffen seien.
Für Stadler ist es aber auch wichtig, das weit verbreitet „Halbwissen“ zu diesem Thema geradezurücken: Es sei den meisten Österreichern nicht bewusst, dass der größte Teil der Unfälle, nämlich 84 Prozent, nicht von der gesetzlichen Unfallversicherung abgedeckt sei.
Im Falle der Dauerinvalidität gebe es von ihr in diesen Fällen „keinen einzigen Cent“ für das Unfallopfer, so Stadler. Dabei koste ein „guter Unfallversicherungsschutz“ gerade einmal so viel wie eine Tageszeitung.
Fehlende Strukturen und Institutionen
Den Gründen für den zunehmenden Anteil der Heim- und Freizeitunfälle ging Thann auf den Grund. Man sei bei der Bekämpfung von Arbeits- und Verkehrsunfällen in Österreich deshalb so erfolgreich gewesen, weil es dafür Institutionen wie die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) oder den KFV gebe.
Im Bereich Freizeit und Haushalt fehle eine Institutionalisierung, es herrsche die Einstellung „da kann man halt nichts machen“. Das stimme aber nicht, so Thann, der von der nächsten Bundesregierung fordert, im Bereich der Unfallprävention tätig zu werden.
Es gehe darum, Institutionen zu schaffen, Verantwortlichkeiten festzulegen und Programme zu initialisieren, wie es sie beispielsweise im skandinavischen Raum bereits gebe. Wichtig sei es darüber hinaus, exakte Ziele zu definieren.
Weitere Zunahme vorprogrammiert?
Ohne solche Programme müsse mit einem weiteren Anstieg der Unfallzahlen gerechnet werden: Wenn nichts getan wird, erwartet Thann jedes Jahr eine Zunahme der Unfälle um 100.000 sowie um fünf Prozent bei den Getöteten. Allein im Sport sei in den nächsten Monaten mit 100.000 Unfällen zu rechnen.
Grund für die steigende Anzahl der Unfälle in diesem Bereich sei es auch, dass immer mehr Menschen immer mehr Freizeit haben; auch habe sich das Freizeitverhalten geändert. Menschen seien oft unaufmerksamer und weniger trainiert und würden gefährlichere Sportarten betreiben.
Mit einfachen Maßnahmen könnte man nicht nur viel Leid ersparen, so Thann: „Es rechnet sich auch wirtschaftlich“. Ein Euro, der in Prävention investiert werde, würde neun Euro Rendite in Form von Kosteneinsparungen abwerfen.
Sollten Strukturen und Programme geschaffen werden, sei er sich sicher, dass man auch bei Sport- und Heimunfällen in einigen Jahren die Trendwende schaffen könne.
Unterschätzte Gefahr und mangelndes Wissen
Dass Unfälle keine Zufälle sind, sondern erklär- und damit auch vermeidbare Ursachen haben, illustrierte der Physiker Gruber an einigen Beispielen.
Seien es die Verlagerung des eigenen Schwerpunkts auf einer Leiter, rutschiges Herbstlaub oder Bananenschalen auf der Straße oder die unterschätzte Gefahr von Scootern: Notwendig seien Achtsamkeit, ein Bewusstsein für die Gefahr und nicht zuletzt auch physikalisches Wissen.
Und schließlich sei nicht das das Problem, was wir als gefährlich empfinden: viel gefährlicher sei oft, was wir für harmlos halten.