Ein Gerichtsurteil zeigt, warum es als Radfahrer in den meisten Fällen notwendig ist, einen vorhandenen Radweg zu benutzen
17.8.2015 (kunid) Es gibt nur wenig Gründe, die es einem Fahrradfahrer erlauben, nicht auf einem vorhandenen Radweg, sondern auf der Straße zu fahren. Das belegt eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes.
Eine Radfahrerin fuhr mit ihrem Trekking-Bike auf einer Landstraße auf dem rechten Fahrstreifen mit einem Abstand von 0,4 Metern zum Fahrbahnrand. Ein Lkw-Fahrer, der in dieselbe Richtung unterwegs war, nahm die Radlerin jedoch zu spät wahr und konnte eine Kollision nicht mehr verhindern. Der rechte Außenspiegel des Lkws berührte die linke Schulter der Frau bei 60 bis 70 km/h, wodurch sie stürzte. Im Unfallbereich bestand ein Tempolimit von 60 km/h.
Radfahrerin sieht alleinige Schuld beim Lkw-Lenker
Die Radlerin verlangte daraufhin Schadenersatz in Höhe von knapp 16.000 Euro sowie die Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden. Den Lkw-Lenker treffe ihrer Meinung nach das Alleinverschulden. Sie argumentierte unter anderem damit, dass sie den vorhandenen Radweg wegen dessen schlechten Zustands nicht habe benützen müssen.
Da sie den Radweg in der Vergangenheit bereits mehrmals gefahren sei, habe sie nämlich an manchen Tagen über dem Radweg in Lenkerhöhe einwachsende Brennnesseln und teils feuchtes Laub am Boden bemerkt. Zweimal hatte sie zudem auf dem Radweg bereits Reifenplatzer wegen Glassplitter erlitten. Zudem komme es bei Benützung des Radwegs in ihrer Fahrtrichtung zu starker Blendung durch entgegenkommende Fahrzeuge. Deshalb sei sie am Unfalltag auf der Landstraße und nicht auf dem Fahrradweg unterwegs gewesen.
Erst- und Berufungsgericht: Ein Drittel Mitverschulden bei Frau K.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit einer Verschuldensteilung 1:2 und nicht mit dem von der Klägerin gewünschten Alleinverschulden des Lkw-Fahrers statt. Das Gericht stellte zudem die Haftung der beklagten Partei für zwei Drittel aller zukünftigen Schäden, beschränkt auf die Mindesthaftpflicht-Versicherungssumme, fest.
Das hinzugezogene Berufungsgericht ging von derselben Verschuldensteilung aus. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Pflicht zur Benutzung des Radwegs im Sinne der Judikatur (insbesondere RIS-Justiz RS0075444) entfallen sei. Auch die Blendwirkung könne diese Pflicht nicht aufheben. Auf diese könne durchaus rechtzeitig durch entsprechende Geschwindigkeits-Verminderung reagiert werden. Und: Letztlich bestehe auch auf der Fahrbahn eine gewisse, wenn auch geringere Blendwirkung bei Gegenverkehr.
Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil der Fall Anlass zur Fortentwicklung der Rechtsprechung zur Radwegbenützungspflicht in Zusammenhang mit der Blendwirkung durch asymmetrisches Abblendlicht gebe. Die Radlerin ging daraufhin in Revision, sodass der Fall vor dem Obersten Gerichtshof (OGH) verhandelt wurde.
Fall geht zum Obersten Gerichtshof
Der OGH verwies in seiner Entscheidung 2Ob121/14d auf frühere Judikatur: Die Pflicht zur Nutzung von Radwegen oder Radfahrstreifen setze voraus, dass deren Zustand eine gefahrlose Benützung gewährleistet. Die Frage, wann eine gefahrlose Benützung nicht mehr möglich sei, hänge auch von der Art des verwendeten Verkehrsmittels ab. Das Befahren eines Radwegs, auf dem sich Rollsplitt befindet, werde mit einem Mountainbike eher ungefährlich sein, mit einem Rennrad mit schmalen Reifen aber gefährlich.
Im Falle der gestürzten Radlerin, so der OGH, konnte das Erstgericht „insbesondere nicht feststellen, dass der Radweg in einem unzumutbar schlechten, gefährlichen Zustand gewesen wäre“. Von einem Entfall der Pflicht zur Benützung des Radwegs könne daher nicht ausgegangen werden, „auch wenn die Klägerin dort mitunter auf Lenkerhöhe in den Luftraum des Radwegs einwachsende Brennnesseln und (teils feuchtes) Laub am Boden bemerkt hatte bzw. zweimal Reifenplatzer wegen Glassplitter erleiden musste“.
Sowohl feuchtes Laub als auch Glassplitter seien „keine Spezifika von Radwegen und können genauso gut auf sonstigen Fahrbahnen zu finden sein“. Die Gefahr solcher Verunreinigungen beziehungsweise Gegenstände auf dem Radweg bestehe immer und würde – insbesondere angesichts früherer Judikatur über die mangelnde Beobachtungs- und Wechselpflicht der Radfahrer – die Verpflichtung zur Benützung des Radwegs regelmäßig aufheben.
Abwägung zugunsten der Radwegbenutzung
In dem angesprochenen früheren Fall (2 Ob 34/93) hatte der OGH entschieden, dass vom Radfahrer „nicht verlangt werden kann, während seiner Fahrt ständig auf den Zustand des Radweges zu achten, bei gefahrloser Benützbarkeit wieder auf den Radweg zu wechseln und diesen auch nur für kurze Strecken zu benützen“. Was die Blendwirkung der bei Dunkelheit entgegenkommenden Fahrzeuge betrifft, gestand der OGH eine mögliche Blendung auf dem Radweg zu.
Allerdings könne auch eine Blendung der den rechten Fahrstreifen der Fahrbahn benutzenden Radfahrer durch entgegenkommende Fahrzeuge keineswegs ausgeschlossen werden. „Überdies erlegt der Gesetzgeber den Radfahrern die im Paragraf 68 StVO (Straßenverkehrsordnung) angeführten Verpflichtungen nicht nur zum Schutz der übrigen Straßenbenützer, sondern auch im Interesse ihrer eigenen Sicherheit auf (RIS-Justiz RS0027587) “, so der OGH.
Wäge man daher hier die Vorteile der Benützung des Radwegs im Hinblick auf die Sicherheit und die Tatsache, dass auch bei Benützung der Fahrbahn eine Blendwirkung entgegenkommender Fahrzeuge bestehe, gegen den Nachteil der verstärkten Blendung bei Benützung des Radwegs gegeneinander ab, so schlage dies „zugunsten einer Verpflichtung zur Benützung des Radwegs“ aus. Der OGH beurteilte die Revision der Radfahrerin folglich als nicht berechtigt.